© 2020 Jade Kerste
Ideen in Schmuck verwandeln – neue Arbeiten von Iris Bodemer
Edelsteine auf einem Sockel, verhüllte Zeichnungen aus Metalldraht, Silber mit angekratzter Oberfläche. Mit großer Meisterschaft setzt Iris Bodemer ihre Ideen in kraftvolle Schmuckkunstwerke des Nicht-zu-viel und des Nicht-zu-wenig um. Für ihre neuesten Schmuckstücke hatte sie so viele Ideen, dass sie zeitgleich an mehreren Gruppen arbeitete — bislang sind es sechs. In diesen neuen Serien begegnen wir allen Merkmalen wieder, die zu Iris Bodemers Erkennungszeichen wurden: Sie sind spielerisch, grafisch, zeichnungshaft, intuitiv und fein ausgearbeitet – und offenbaren Iris Bodemers Freude am Machen.
Die Ordnung der Steine
Edelsteine sind ein Charakteristikum von Iris Bodemers Arbeiten. Sie passt die Steine nicht an das Schmuckstück an, sondern geht von der Form des Steines aus und entwickelt daraus das Schmuckkunstwerk. Häufig weiß sie auf Anhieb, wie sie einen Stein verwenden wird, oder findet für eine bereits vorhandene Idee den perfekten Stein. Dann gilt es noch die Form des Sockels zu finden, auf dem der Stein aufliegen wird. Dieser Sockel muss den Stein entweder halten oder ein ebenbürtiger Teil des Ganzen sein. Iris Bodemer achtet darauf, dass ihre Schmuckstücke mit Steinen nicht zu gefällig oder dekorativ geraten. Sie sollen die raue Anmutung wahren, die ihrer Natur entspricht. Sie sind seltene Gesteine, die ihren Ursprung in der Erde haben. Dort haben sie sich mit einer Energie aufgeladen, die in das Schmuckstück einfließt und auf den Träger übergeht.
In der Serie Ordnung geht Iris Bodemers Liebe zu Steinen eine Verbindung mit einem Werkstoff ein, mit dem sie bislang nicht gearbeitet hat: Aluminium. Aus diesem Metall formt sie die Basis — einen Sockel, auf dem der Edelstein seine Strahlkraft entfalten kann. Das Arbeiten mit Aluminium bringt neue Herausforderungen mit sich. Da das Metall gegossen wird, muss die Gestaltungsidee genauestens durchdacht sein, weil nach dem Gießen keine Veränderungen mehr möglich sind.
Ausgangspunkt für die Serie Figur, die nur zwei Broschen umfasst, war ein in Scheiben gesägter Beryllkristall. An den winzigen Löchern im Stein, die zu seiner natürlichen Beschaffenheit gehören, lässt sich erkennen, dass die beiden Arbeiten ursprünglich ein Stein waren. Die Kristallscheiben hatten lange Zeit in einer Schublade gelegen und darauf gewartet, ihre Qualitäten in einem Schmuckkunstwerk zur Geltung bringen zu dürfen. Die Lösung überrascht: Die Steine sind an einem Spiegel befestigt, und die Löcher im transparenten Beryll werden im Spiegel reflektiert und sind deutlich zu sehen. Die Beryllstücke wurden symmetrisch auf dem Spiegel angeordnet, um die ursprüngliche Form des Kristalls sichtbar zu machen.
Komposition aus Materialien
Für die Serien Klang und Topographie verwendete Iris Bodemer das Verfahren der Galvanoplastik. Mit dieser Technik lässt sich Metall auf den thermoplastischen Kunststoff aufbringen, aus dem die Formen entwickelt wurden. Die Arbeiten der Gruppe Klang sind durchweg Collagen, bestehend aus einer Silberfläche mit einer dreidimensionalen Zeichnung aus Silberdraht. Die Drahtzeichnung scheint sich wie ein Körper unter einer Bettdecke verkriechen zu wollen, bleibt aber für uns sichtbar, weil die Thermoplastschicht ihre Form nachbildet. Daneben sind Stücke von Tigerauge oder Karneol angebracht. Auf der Fläche um die Steine sind Kratzer und Schattierungen zu erkennen — kleine Zeichnungen, die die Blickrichtung des Betrachters lenken.
In den Arbeiten der Gruppe Topographie werden keine Drahtzeichnungen versteckt, sondern unter dem Thermoplast sind Formen und Steine verborgen. Dreht man das Stück um, offenbart sich, welche Form oder welcher Stein die auf der Vorderseite sichtbare Verformung bewirkt hat. Wie die Erdoberfläche weist das Schmuckstück Vertiefungen auf und erhielt — so wie im Laufe der Zeit auch die Landschaft — seine Form durch Wärmeeinwirkung.
Der Schmuck aus der Serie Topographie wird an einem einfachen Schnürsenkel um den Hals getragen. Bei der Serie Klang dienen Restmaterialien als Kette. Andere Serien haben eine ruhige, gehämmerte Kette, und bei manchen Arbeiten fügt der Verschluss sich nahtlos in die Gesamtform. So hat jeder Anhänger in Iris Bodemers Serien eine passende, charakteristische Kette zum Tragen.
Zwischen den Dimensionen
Gegenüberstellung: Zwei Elemente, wie wir sie häufig in Iris Bodemers Werk antreffen, werden einander gegenübergestellt, wie im Titel angekündigt. Eine ebene Fläche mit einfacher Form trifft auf lockere dreidimensionale Drahtzeichnungen. Spielerisch und streng, lose und fest, flach und skulptural, leicht und schwer: Diese Arbeiten sind beides.
In Konstruktion lösen Iris Bodemers 3D-Zeichnungen sich vom ebenen Untergrund und formieren sich zu einer kleinen Skulptur. Die Arbeit kann als Objekt aufgestellt werden, ist aber als Schmuckarbeit intendiert. Eingehakt in eine lange Kette, ist sie Halsschmuck und Skulptur in einem — eine dreidimensionale Zeichnung für den dreidimensionalen Körper.
Die Einheit jeder Werkgruppe ist für die Künstlerin von großer Bedeutung. Jede einzelne Arbeit vermehrt die Kraft der anderen Arbeiten. Das ist auch der Grund, warum Iris Bodemer eine Serie nicht bis ins Letzte mit Variationen ausreizt. Gegenüberstellung zum Beispiel ist eine in sich abgerundete Werkgruppe aus fünf Anhängern: Die flächigen Komponenten der einzelnen Anhänger haben alle eine andere Form, und auch die dreidimensionalen Komponenten sind unterschiedlich ausgestaltet. Inzwischen ist Iris Bodemer gedanklich schon wieder mit Ideen beschäftigt, die sie später ins Werk setzen wird — in einem endlosen Kreislauf aus Verarbeiten, Skizzieren, Experimentieren, Machen und neuerlichem Verarbeiten, aus dem immer neue Schmuckstücke entstehen.
Jade Kerste, Art Mediation, 2020
Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld
© 2013 Marjan Unger
REBUS
von MARJAN UNGER
Dieses Buch entstand aus einer Notwendigkeit. 2002 hat Iris Bodemer einen schönen, handgefertigten Katalog über ihr frühes Werk herausgebracht. Mehr als ein Jahrzehnt danach ist es an der Zeit, erneut innezuhalten. Mit REBUS zieht sie eine zweite große Zwischenbilanz. Der Anlass zu diesem Buch ist ihre Ausstellung mit Ute Eitzenhöfer, die 2013 und 2014 zunächst im Schmuckmuseum Pforzheim und anschließend im Deutschen Goldschmiedehaus Hanau und im CODA Museum Apeldoorn gezeigt wird.
Die Buchform ist auch für diese Bestandsaufnahme der Jahre 1997 bis 2013 ein Muss. An Büchern schätzt Iris Bodemer das Haptische – die Möglichkeit, ihre Arbeit auf einem fühlbaren Material zu präsentieren. In einer Zeit, in der viele Informationen über allerlei wunderliche Kanäle virtuell verbreitet werden und sich gesellschaftlich, kulturell, wissenschaftlich und ökonomisch so vieles bewegt, ist ein greifbarer Vermessungspunkt besonders hilfreich. Das gilt auch für die Welt des Schmucks. Schmuckstücke sind Dinge, die von Menschen für Menschen hergestellt werden. Es sind Gegenstände, die Menschen an sich tragen und mit denen sie etwas von ihrer Persönlichkeit und ihrer Herkunft preisgeben. Ebenso wie Bücher sind Schmuckstücke in ihrer Form dinghaft und in ihrem Inhalt relativ. Sie werden von einer Person hergestellt und sind somit auch ein Produkt der Umstände, unter denen sie entstehen. Guter Schmuck und gute Bücher haben Bestand und sind Gradmesser ihrer Zeit.
Iris Bodemer liebt ihr Metier, das menschliche Maß und die Möglichkeit, Material, Form und Bedeutung im Schmuckstück zu einer Einheit zu verdichten. In ihrem Werk reklamiert sie für sich völlige Freiheit und folgt dabei allein ihrem inneren Kompass. Als Künstlerin möchte sie sichtbar machen, was sie berührt, und verarbeiten, was sie beobachtet. In die jüngste Werkgruppe von 2013 fließen auch Referenzen an aktuelle Zeitprobleme ein, die sie beunruhigen.
Iris Bodemer arbeitet meist an Halsketten, Broschen und Ringen. Innerhalb dieser körperbezogenen Formen spielt sich ihr Abenteuer ab. Als bildende Künstlerin ist sie stets auf der Suche nach Materialien, Raumkörpern, Linien, Farben und Konstruktionen, um ihre Gedanken zu visualisieren. Die Übersetzung imaginärer Bilder in konkrete Gegenstände verläuft bisweilen eher zögerlich, in Momenten großer Konzentration hingegen so rasch, dass eine ganze Werkgruppe in schneller Folge entsteht. Zwischen den einzelnen Werkgruppen besteht dabei eine gewisse Kontinuität. In jeder abgeschlossenen Sequenz steckt bereits der Keim für neue Arbeiten. In Galerien und Ausstellungen präsentiert Iris Bodemer ihre Schmuckstücke denn auch so, dass die Bezüge innerhalb der Werkgruppe deutlich werden.
Alles in ihrem Schaffen dreht sich um die Interaktion zwischen Gedanken, den daraus entstehenden imaginären Bildern und den konkreten Gegenständen, die sie mit ihren Händen herstellt. Die verbindende Instanz ist dabei das Auge. Es beobachtet den Herstellungsprozess und entscheidet, ob sich der entstehende Gegenstand gut entwickelt oder nicht. Das künstlerische Schaffen ist eine Form des Denkens, bei der das Auge die Rolle des Schiedsrichters übernimmt.
Dieser Prozess ist darauf angelegt, immer weiterzugehen und nicht im Repetitiven zu erstarren. Wie die Abbildungen in diesem Buch zeigen, erliegt Iris Bodemer nicht der Versuchung, erfolgreiche Stücke aus früheren Werkgruppen nur zu variieren.
Wer über Schmuck schreibt, muss zweierlei wissen: Zum einen sind Sprache und Bild zwei Instrumente der Erfahrungsvermittlung, die beide zur Präzision und Abstraktion fähig sind und sich daher zum Glück ergänzen können, obwohl sie zunächst grundverschieden sind. Zum anderen hat jeder, der über Schmuck schreibt, mit mindestens drei Akteuren zu tun: dem Macher, dem Träger und dem Betrachter. Keiner dieser drei Akteure darf außer Acht gelassen werden.
Meist steht, wenn über das Werk renommierter Goldschmiede geschrieben wird, der Kunstschaffende im Mittelpunkt. Welchen Hintergrund hat er? Wo und von wem wurde er ausgebildet? Was treibt ihn an? Wie wählt und verarbeitet er seine Materialien? Das Herstellen von Schmuck ist kein gängiger Beruf und berührt kontroverse Begriffe wie Stil oder Geschmack, bedient sich geheimnisvoller Techniken, bei denen häufig auch Feuer im Spiel ist, und wirft allerlei Fragen auf. Diese Fragen zu beantworten, ist für die Künstler oft keine leichte Aufgabe. Iris Bodemer etwa gehört zu denjenigen, die keine Erklärungen zu ihren Arbeiten liefern wollen. Was sie zu sagen haben, legen sie in ihre Arbeit, die sichtbar vor dem Betrachter liegt und daher doch genügen müsste. Welche Auskünfte sollen die Künstler darüber hinaus noch erteilen?
Der Träger kann ein Schmuckstück besonders gut zur Geltung bringen oder auch nicht – je nachdem, zu welchem Anlass er es trägt und wie er sich kleidet und bewegt. Auch die Umgebung, das Licht und die An- oder Abwesenheit anderer Personen spielen eine wichtige Rolle; der Träger kann seinen Schmuck in Gesellschaft oder auch ohne Wirkungsabsicht nur zu seinem eigenen Vergnügen tragen.
In der Dreieckskonstellation von Macher, Träger und Betrachter nimmt der Betrachter eine Art Schlüsselposition ein. Der Betrachter kann ein Passant sein, dessen Blick am Schmuckstück hängen bleibt, oder auch ein Kenner, der schon häufig über Schmuck geschrieben hat.
In diesem Buch sind die Positionen eindeutig: Auf meinen Text – den Text einer Betrachterin – folgen die wundervollen Bilder von Iris Bodemer. Allerdings bin ich als Autorin und Kunsthistorikerin dank einer tiefen Liebe zum Schmuck immer wieder Trägerin und Betrachterin zugleich. Indem ich über zeitgenössischen Schmuck nicht nur schreibe, sondern ihn auch trage, erlebe ich, wie dieser Schmuck wirkt.
Ich verfolge Iris Bodemers Arbeit seit der Zeit, als sie am Sandberg Institut in Amsterdam studierte, und habe ihre Arbeiten immer wieder in Galerien – vor allem in der Galerie Marzee in Nijmegen – sowie auf Messen und bei Präsentationen gesehen. Mich faszinieren die verbindenden Elemente in ihrem Œuvre, das immer wieder überrascht und viele weitere Überraschungen verspricht. REBUS, der Titel dieses Buches, steht für Bilderrätsel – und ich habe die Aufgabe, diese Rätsel und das Eigenartige in den Schmuckstücken von Iris Bodemer mit Worten zu vermitteln.
Der erste Begriff, der sich bei der Betrachtung des Schmucks von Iris Bodemer aufdrängt, lautet Freiheit. Iris Bodemer verweist in ihrem Werk nicht auf das ihrer Kollegen oder wichtiger Vorgänger, sondern geht ihren eigenen Weg. Sie kombiniert Formen, Linien und Materialien im besten Sinne auf eigenartige Weise. Sie arbeitet mit verschiedensten Materialien von Gold über Edelsteine und Gummi bis hin zu Schnüren. Für sie gibt es keine Hierarchie der Materialien und Formen.
Diese Freiheit erfordert Mut und die Gabe zu wissen, wann ein Schmuckstück gelungen ist und wann durch zu viel Verfremdung die Faszination verloren geht.
Die Elemente, die sie in ihren Arbeiten miteinander verbindet, können stark voneinander abweichen. In dieser Hinsicht lässt sich ihr Schmuck mit Stillleben vergleichen, einem klassischen Genre der Malerei, in dem Gegenstände verschiedenster Formen, Farben und Texturen zu einer Komposition zusammengefügt werden.
Schon früh hat Iris Bodemer die Scheu vor kostbaren Materialien verloren, indem sie deren charakteristische Eigenheiten ausgelotet hat. 1997 überließ ihr eine Händlerin eine Auswahl hochwertiger Steine mit der einzigen Auflage, dass sie diese später aus dem Erlös der gefertigten Schmuckstücke bezahlen sollte. Als sie obendrein mit Gold arbeiten wollte, überzeugte sie ihre Bank mit dem Argument, dass man Gold ja jederzeit wieder einschmelzen könne, und erhielt den gewünschten Kredit. Die Werkgruppe, die daraus entstand, wurde ein visuelles Fest.
Iris Bodemer fertigt ihre Schmuckstücke wie Zeichnungen, arbeitet intuitiv und unmittelbar mit den Materialien, die sie um sich herum versammelt hat, und lässt sich von ihren Ideen leiten. In diese Ideen geht alles ein, was sie sieht, liest oder auf anderem Wege auf- und wahrnimmt. Mit den Mitteln der Zeichnung kann sie die Ideen, die sie beschäftigen, in besonders direkter Weise sichtbar machen. Ihr Schaffen gleicht einer Gebärde und bringt selten Symmetrien hervor. Sehr wohl aber hat jede Arbeit ihre eigene Balance und Mitte.
Iris Bodemer ist eine hervorragende Zeichnerin. 1998 habe ich beobachtet, wie sie die Wand eines Projektstudios im Amsterdamer Sandberg Institut mit großen Zeichnungen versah. Diese hatten wenig gemein mit klassischen Bleistift-und-Papier-Zeichnungen. Papier wurde hier nicht als Untergrund, sondern als Material verwendet. Schon damals zeichnete Iris Bodemer mit verschiedensten Werkstoffen wie Gummi, Klebeband oder Leukoplast und mit ausgeschnittenen und gefalteten Papierformen. Für Bewegung sorgte sie mit großen Farb- oder Kreidestrichen. Es sollte sichtbar werden, dass das eine Material härter war als das andere. Biegsame Teile wechselten sich mit festen Formen ab. Die Erfahrungen, die sie damals in wenigen Wochen höchster Konzentration gesammelt hat, sind bis heute in ihrem Schaffen zu erkennen.
Iris Bodemer verfügt über das bildnerische Können einer großen Künstlerin und hat ihr Metier somit gut gewählt. Aber sie stellt keine autonomen Werke her, die in einem leeren Raum platziert werden. Ihre Kunst ist für den menschlichen Körper bestimmt. Zwar mag sich beim Betrachten ihrer Arbeiten manch einer fragen, ob sie wohl tragbar sind, aber als Schmuck am Körper erfüllen sie immer ihre Funktion.
Eine der größten Herausforderungen für jeden Schmuckkünstler besteht darin, die physische Begrenztheit seiner Arbeiten zu akzeptieren. Welche Dimensionen soll man aufzeigen in seinem Werk, und wie kann man innerhalb dieser Dimensionen an die Emotionen, die Erfahrungen und das Denken anderer Menschen appellieren?
Für Iris Bodemer ist Dimension ein zugleich abstraktes und konkretes Phänomen. Sie beschäftigt sich intensiv mit Naturvorgängen, mit Begriffen aus Mathematik, Naturwissenschaften und Astronomie. Um Volumen greifbar zu realisieren, verwandelt sie Draht und flächiges Material in dreidimensionale Formen. Ein Stück Papier kann man schneiden und zu einer Form biegen. Man kann es so knittern, dass ein Volumen entsteht, und durch Knüllen, Pressen und Verformen in ein neues Material verwandeln. Das Gleiche kann man auch mit einem Metallblech machen. Ein Draht kann eine bloße Linie sein und gleichzeitig die verschiedenen Teile eines Schmuckstücks miteinander verbinden. Man kann ihn so biegen, dass etwas Räumliches daraus wird. Für Iris Bodemer gibt es keine Trennung zwischen zwei- und dreidimensionalem Denken. Sie nimmt sich die Freiheit, irgendwo zwischen diesen beiden Denkformen zu schweben.
Bei aller Freiheit der Materialwahl und Formgebung hat jedes Schmuckstück, das Iris Bodemer herstellt, einen inneren Zusammenhang. Ihr kompositorischer Scharfblick gewährleistet, dass der Betrachter nicht ungestraft ein Element hinzufügen oder entfernen kann. Darüber hinaus ist, wenn es um Schmuck geht, der Zusammenhalt eine ganz konkrete Notwendigkeit, muss das Schmuckstück doch die Bewegungen eines Menschen aushalten und sollte nicht in seine Einzelteile zerfallen, sobald man es berührt.
Besondere Freude macht mir die Art, wie Iris Bodemer die verschiedenen Teile ihrer Schmuckstücke miteinander verbindet. Ich erkenne darin Elemente wieder, die sie schon 1998 in ihren Wandzeichnungen entwickelt hat. Mal fügt sie die Teile mit Klebeband zusammen, mal hakt sie einfach Bleche ineinander, näht oder knüpft. Wenn es nötig ist, stellt sie mit allem Können der Goldschmiedin klassische Verschlüsse und Broschierungen her, die dann makellos und perfekt verarbeitet sind.
Dass sie sich die Freiheit genommen hat, Teilstücke mit Schnüren oder Wolle zu verknüpfen, geht auf ein persönliches Erlebnis zurück. Ihre Familie vermachte ihr einst den Ehering ihrer Urgroßmutter. Diesen Ring des verstorbenen Gatten wollte die Witwe, wie es damals üblich war, selber tragen. Da der Ring aber zu groß war und sie ihn nicht beim Goldschmied enger machen lassen wollte, wickelte sie kurzerhand etwas braune und schwarze Wolle herum, um ihn tragen zu können. Aus diesem in der Familie überlieferten Kunstgriff machte Iris Bodemer eine bevorzugte Methode. Für eine Serie von Ringen aus dem Jahr 2004 wickelte und verknotete sie mehr und mehr Wolle, bis das Ergebnis an klassische Ringe mit gefassten Steinen erinnerte. Um die Ringgröße zu ändern, wurde einfach mehr Wolle aufgebracht.
Das Wort Zusammenhang hat in der Kunst noch eine weitere Bedeutung. Es bezeichnet die Kohärenz des Œuvres, einen Rhythmus wiederkehrender Elemente, der den Bogen in Spannung hält. Oft wird dieser Rhythmus schon durch die Praxis des freischaffenden Künstlers vorgegeben, weil sich Perioden konzentrierten Schaffens mit anderen wichtigen Tätigkeiten wie Unterrichten, Ausstellungsvorbereitungen, Vorträgen oder anderen Aufgaben abwechseln. Für Iris Bodemer sind die dadurch entstehenden Arbeitspausen eine willkommene Zeit, um neue Energie und Eindrücke zu sammeln und Ideen reifen zu lassen, bevor sie eine neue Werkgruppe in Angriff nimmt.
In den Jahren 1999 und 2000 hat Iris Bodemer vor allem große Halsketten hergestellt, die sie wie zweidimensionale Zeichnungen präsentierte. Danach erhielt ihr Werk zunehmend skulpturalen Charakter. Der Schmuck aus den Jahren 2003 und 2004 hält die Balance zwischen Objekt und Halsschmuck. In dieser Zeit arbeitet sie auch erstmals mit Wolle. Die Dynamik zwischen zwei- und dreidimensionaler Zeichnung wird in der folgenden Werkgruppe weiter ausgebaut. Die Zeichnungen bilden dabei einen wesentlichen Bestandteil des Schmuckes. 2007 und 2008 spielen Materialien und Steine eine zentrale Rolle. Verbunden werden die Materialien in dieser Werkgruppe namens „Ingredienzen“ mit Draht und Wolle. In den Jahren darauf dominiert das Metall, aber die Steine bleiben in Iris Bodemers Arbeiten einstweilen noch präsent. Danach zeichnet sich in ihrem Werk allmählich der Wendepunkt ab, der einen wichtigen Anlass für dieses Buch darstellt. Dieser Chronologie folgt auch die Auswahl der Abbildungen im Buch.
Was alle Schmuckstücke Iris Bodemers verbindet, sind das direkte Zeichnen in und mit dem Material, der scharfe Blick für Maß und Komposition und die vermeintliche Leichtigkeit, mit der Iris Bodemer die Teile zu einem Ganzen verbindet. Und noch etwas ist allen Schmuckstücken der verschiedenen Schaffensperioden gemeinsam: Iris Bodemers Gefühl für Farbe.
Farbe ist physikalisch messbar und doch wie jede Sinneserfahrung relativ. Im Alltag erfahren wir Farbe niemals in ihrer objektiven Reinform; hierfür würden wir komplizierte Farbmessgeräte benötigen. Menschen erfahren Farbe vor allem im Kontrast mit anderen Farben. Diese Wahrnehmung ist allerdings unausweichlich „gefärbt“, weil die Farben sich gegenseitig beeinflussen. Psychologen und Sprachwissenschaftler gehen davon aus, dass es nur elf Grundfarbwörter gibt: Schwarz, Weiß, Rot, Blau, Gelb, Grün, Braun, Violett, Orange, Rosa und Grau. Wer mehr Farben benennen will, muss den Farbnamen mit dem Namen eines Gegenstandes kombinieren oder die Vorsilbe „hell-“ oder „dunkel-“ bemühen.
Das richtige Blau, einbettet in eine eigensinnige Farbkonstellation, verführt mich sofort. Anders als in der Mode, Textilgestaltung, Malerei und Fotografie sind in der Schmuckwelt begnadete Koloristen leider eine Seltenheit. Vielleicht liegt dies daran, dass bestimmte Steine oder Edelmetalle wie Gold mit ihrer Farbpracht so dominieren, dass andere Farben oder Texturen neben ihr nicht bestehen können.
So wie es Menschen mit einem absoluten Gehör gibt, haben manche Menschen einen untrüglichen Blick für Farben. Aus Hunderten von Farbtönen greifen Sie genau die Nuance heraus, die sie brauchen. Meist beherrschen sie auch die Kunst, die gewählten Schattierungen auf wohltuende Weise zu kombinieren. Dieses Farbgefühl ist eine nicht objektivierbare, emotionale Gabe.
Iris Bodemer besitzt ein solches ausgeprägtes Farbgefühl. Ihre Farbpalette hat sich allerdings verändert: War sie in den letzten fünfzehn Jahren hell und lebendig, wird es in den neuesten Arbeiten farblich stiller.
Dieser Wandel beruht auf einer bewussten Entscheidung. Iris Bodemer zeichnet sich dadurch aus, dass sie ihr bisheriges Werk und allgemein akzeptierte Ansichten über Schmuck kontinuierlich einer scharfsichtigen Analyse unterzieht. Dies erfordert den Mut und die Intelligenz, sich immer wieder für das Unbewiesene zu entscheiden und die im Laufe der Jahre gesammelten schöpferischen Erfahrungen immer wieder zur Diskussion zu stellen. Aber die größtmögliche Freiheit im Denken und Handeln erreicht nur, wer Fragen stellt und bereit ist, Risiken einzugehen.
Wenn sie sich in ihrer Werkstatt an die Arbeit macht, ist sie von Gedanken, Erinnerungen, Gefühlen, imaginären Bildern, Materialien, Werkzeugen und Erfahrungen umgeben. Die Arbeit verlangt von ihr, sich zu konzentrieren, sich von Regeln und äußeren Erwartungsmustern zu lösen, nicht Zugehöriges auszusondern, das Wesentliche festzuhalten und dann nicht locker zu lassen, um bis zum Kern vorzudringen. Fragen nach ihrem Arbeitsprozess beantwortet sie knapp mit einem Hinweis auf Musiker wie John Cage und Claude Debussy. Letzterer antwortete auf die Frage, wie er seine Musik komponiere: „Ich nehme alle Töne, die es gibt, lasse diejenigen weg, die ich nicht will, und verwende alle anderen.“
Die Bilder, die sich in ihrem Geist formen, sind das Resultat eines schnellen Verstandes, intensiver Lektüre und der Anschauung und Befragung der Welt, die sie umgibt. Wie weit ihr Einfluss reicht und wie angreifbar ihre Stellung in dieser Welt ist, ist ihr bewusst. Sie vertieft sich in die dehnbaren Grenzen des Weltalls und fragt sich, was Natur eigentlich ist und wie die Menschen diesen Begriff manipulieren, missachten oder verklären. Ein Großteil ihrer Arbeit ist virtuell. Dimensionen sind relativ. Was klein scheint, ist vielleicht in Wahrheit groß – je nachdem, wie weit es entfernt ist. Iris Bodemer kann so auf unsere Erde schauen, als sitze sie in einem Raumschiff…. Sogar der Schatten eines Objektes ist von Belang und kann entscheidend sein für die endgültige Form eines Schmuckstückes.
In ihren jüngsten Arbeiten stellt Iris Bodemer sich und uns Fragen, die die Umwelt, den Raubbau an der Natur, die begrenzte Verfügbarkeit bestimmter Rohstoffe und die sich in diesem Zusammenhang verschiebende Werteskala betreffen. Diese für unsere Zeit entscheidenden Fragen haben mit Respekt zu tun. Iris Bodemer hat sich gelöst vom Zauber der Steine und Materialien, mit denen sie so treffsicher und erfolgreich gearbeitet hat. Jetzt wendet sie sich rohen Metallen zu, verarbeitet Silber zu großen Reliefs, die wie raue Landschaften wirken und sich aus vielen Broschen zusammensetzen. Sie verarbeitet kostspieliges Platin und Feingold, aber auch alte Münzen aus Indien und natürliches Kupfer. In ein Schmuckstück hat sie Glasampullen mit Seltenen Erden integriert – als Zeichen der Wertschätzung, die eigentlich der Erde als Ganzem zuteil werden müsste, und als Kritik am unreflektierten Konsumverhalten, das immer mehr um sich greift. Es ist eine mutige Werkgruppe, die mit den üblichen Erwartungen an Bodemers Werk bricht und notwendige und unliebsame Fragen stellt.
Viele Träger und Betrachter ließen sich von der Farbenpracht früherer Arbeiten in den Bann ziehen. Auf diese neuen Arbeiten können sie sich erst mit etwas Intuition einlassen, um sie einordnen und nachvollziehen zu können. In dieser jüngsten Werkgruppe sucht Iris Bodemer ein verlässliches Gleichgewicht inmitten der instabilen Wertesysteme der heutigen Zeit. Das Ergebnis ist offen. Die Waage kann sich zu jeder Richtung neigen; dessen ist sie sich bewusst. Dennoch bezieht sie Position und nimmt sich von Neuem die Freiheit, mit ihrem Schmuck das auszudrücken, was sie beschäftigt, und komplexe Erkenntnisse und Fragen am eigenen komplexen Geist zu überprüfen. Ihre Augen haben sie dabei nicht im Stich gelassen: In ihrem Schaffen macht sich eine neue Schönheit bemerkbar, die Respekt erzwingt.
Bild und Text stehen jetzt fest, wie es einem gedruckten Buch eigen ist. Jeder, der dieses Buch in Händen hält, kann dasselbe sehen und diesen Text lesen. Nicht alle Schmuckstücke von Iris Bodemer sind abgebildet. Es bedürfte also noch vieler weiterer Worte, um von ihrem Werk zu erzählen. In diesem Sinne steht REBUS als Titel dieses Buches auch für alles, was für den Leser beim Betrachten von Iris Bodemers Arbeiten zu enträtseln bleibt.
Marjan Unger
© 2013 Marjorie Simon
METALSMITH 2013 _ Band 33 Nummer 1 _ Page 30 – 37
Variation über die Stille: Die Schmuckkunst von Iris Bodemer
Von MARJORIE SIMON
Mit den Arbeiten, die sie im Frühjahr 2012 in der Jewelers’ Werk Galerie in Washington gezeigt hat, kehrt die deutsche Schmuckkünstlerin Iris Bodemer zum Werkstoff Metall und seiner energischen Materialität zurück. Wie in früheren Ausstellungen fordern Bodemers asymmetrische Kompositionen auch hier den Raum ein, den sie brauchen, damit sie sich an der Wand, auf der Tischfläche oder am Körper entfalten können. Sorgten früher Edelsteine, gefundene Dinge und textile Materialien wie Wolle und Bast für Farbigkeit, wird die Palette jetzt bestimmt von geschwärztem Silber mit sporadischen, aber kräftigen Akzenten in Weiß, Bronze und Grau, ergänzt durch transparenten Rauchtopas. In manchen Arbeiten halten sich riesenhafte Perlen, Rutilquarz und Zitrine einerseits und das Weiß des gegossenen Silbers andererseits farblich im Gleichgewicht. Dann wieder bauen durchscheinende pastellfarbene Edelsteine in Rosa und Blau einen Kontrast zu dem milchig-opaken Metall auf. Rohe Natursteine und die zahlreichen polierten und geschliffenen Steine entfalten eine tänzerische Dialektik von Zufall und Kalkül.
Die Formen, die Bodemer schafft, und ihr Wechselspiel untereinander sind so stimmig, dass ihr gesamtes Oeuvre ein kohärentes Ganzes ergibt, ohne repetitiv zu wirken. Der neue Halsschmuck gibt sich mit seinem schroffen Nebeneinander von vermeintlich unvereinbaren Werkstoffen wie facettierten Edelsteinen und Rohkupfer klar als Schöpfung des 21. Jahrhunderts zu erkennen und nimmt zugleich Bezug auf klassische Schmuckformen mit großem mittigem Anhänger und „Kette“. Manche Arbeiten erinnern an Bodemers multimediale Kompositionen aus früheren Jahren – Kreise mit verschobenem Mittelpunkt und kartoffelförmige Silhouetten, scheinbar freihändig aus dem Metall ausgeschnitten ähnlich wie die berühmten Papierschnitte von Matisse, die so wirken, als hätte eine Person das Papier gehalten und eine andere die Schere geführt. Diese unregelmäßigen Formen lassen eine Zartheit entstehen, die die Arbeiten physisch leichter macht und ihnen ihre visuelle Schwere nimmt.
Technisch anspruchsvolle Schließen gehören für die gelernte Goldschmiedin Bodemer zum Handwerkszeug, aber sie bevorzugt einfache Mechanismen, die wie riesenhafte Klammern die ungleichartigen Elemente zusammenhalten. Bei vielen Arbeiten sieht die Rückseite wie genäht aus – wohl eine Reminiszenz an Bodemers Textilassemblagen aus früheren Jahren. Gestisch und intuitiv waren Bodemers Arbeiten schon immer, und diese Qualität hat sich über die Jahre behauptet. Ihre gewohnt wirkungsvolle Linienführung lässt auch schweren Draht so leicht und lebendig wirken, als hätte ihn mit einem gewaltigen Stift ein junger Riese gezeichnet. „Wenn ich an meinem Schmuck arbeite, gehe ich immer zeichnerisch vor“, sagt die Künstlerin. Ähnlich wie ihre Schmuckarbeiten fesseln denn auch Bodemers Zeichnungen den Betrachter durch ihre unmittelbare Materialität und durch kombinierte Werkstoffe, vielfältige Texturen und wiederkehrende Formen.
Als vielseitig interessierte Künstlerin schöpft Bodemer aus verschiedensten Inspirationsquellen. Ihr Schmuck wirkt zwar unter ästhetischen Gesichtspunkten eindeutig europäisch, folgt aber nicht einer vorgeprägten Ausdruckssprache. Ein viel wichtiger Bezugspunkt sind für sie die bildenden Künste – insbesondere die Zeichnungen von Joseph Beuys – und so unterschiedliche Künstler wie Leon¬ardo da Vinci, Marcel Duchamp und Louise Bourgeois. Besonders bedeutsam sind für Bodemer das Werk und die Texte des amerikanischen Avantgardisten und Komponisten John Cage. So wie Cage die Stille als Äquivalent zur Musik einsetzt, lässt Bodemer Raum und Form zueinander in Beziehung treten. Ihr Schmuck ist, wie schon der Katalog mit dem schlichten Titel Iris Bodemer aus dem Jahr 2002 gezeigt hat, oftmals karg und lässt um bestimmte Elemente herum Räume der Stille entstehen. Unter anderem hat Bodemer in ihrer Beschäftigung mit Cage eine Erkenntnis gewonnen, die handwerklich arbeitenden Künstlern vertraut ist: Der Prozess ist wichtiger als das Produkt. „Der Interpret (sprich: der „Lernende“) muss im Vertrauen auf seine Intuition seinen eigenen Weg finden.” Von Cage, so berichtet Bodemer, hat sie gelernt, „die Kraft des Materials zu erkunden, aufmerksam Kleinigkeiten zu beobachten und zu erkennen, dass die Inspiration überall und vor allem in mir selbst zu finden ist.“ 1
Ihre Kraft beziehen Bodemers Arbeiten einerseits aus dem, was die Künstlerin auswählt, und andererseits aus dem, worauf sie bewusst verzichtet. Im Gespräch über ihr Werk geht sie auf Fragen nach Bedeutungen und Materialien nicht ein: Sie entscheide sich für das, was ihre Vorstellungen zum Ausdruck bringt. Worin diese Vorstellungen bestehen, führt sie nicht näher aus. Diese Haltung hat eine andere deutsche Schmuckkünstlerin, Iris Eichenberg, 2012 in einem Interview zu erläutern versucht: „Es liegt Europäerinnen und Europäern nicht, über ihre eigenen Arbeiten zu sprechen…. Nach ihrer Überzeugung spricht das Werk für sich und bedarf keiner Erklärung.”2 Spricht man Iris Bodemer auf diese Beobachtung an, stimmt sie amüsiert zu und bekräftigt, dass alles, was sie sagen wolle, im Werk enthalten sei. Cornelie Holzach, die Leiterin des Schmuckmuseums Pforzheim, sieht es so: „Um Strukturen, Oberflächen, Farbe, Linien und Volumen entstehen zu lassen, ist das der Idee am nächsten kommende Material wichtig, nicht seine technische Eignung.”3 Bodemer ist überzeugt, dass das Reden über die eigenen Arbeiten den künstlerischen Prozess und seinen „Zauber“ selbst dann noch stört, wenn die Arbeit schon fertig ist – eine Auffassung, die viele bildende Künstler, Komponisten und Schriftsteller teilen. Und zu der Frage, was ihre Arbeit bedeutet, könne sie meist nur so viel sagen, dass es darin um das alltägliche Leben geht, um die Art und Weise, wie das Sonnenlicht durch das Fenster einfällt, oder um einen Gedanken, der ihr in den Sinn kommt. Kunst und Leben, so wird hier deutlich, sind für Iris Bodemer keine Dualität; alles ist Kunst, und alles ist Leben.
Bilder entspringen überall. Mal liest sie Lyrik oder philosophische Texte, mal ein Theaterstück von Tschechow, mal vertieft sie sich in das Studium der Zen-Gartenkunst. Erkenntnistheorie und Physik findet sie ebenso interessant: Wie arbeitet das Gehirn? Wie verhält sich die potenzielle Energie zur kinetischen Energie? In ihrer oftmals bildhaften Sprache philosophiert sie über den Begriff der Potenzialität: „Alle Linien sind schon im Stift enthalten…. Vielleicht sollte man sie im Stift lassen, als reine Option? Die Aufgabe besteht darin, diesen Gedanken in die Sprache der materiellen Welt zu übersetzen.” Für Bodemer ist kreatives Arbeiten ein Prozess des Filterns und Siebens: „Jeden Tag schütten wir Geschichten und Bilder durch einen Filter”, sagt sie mit den Worten Tschechows. „Und es bleibt darin zurück, was man bewahren muss.“ Vor diesem gedanklichen Hintergrund wird Bodemers Schmuckkunst für den Betrachter eingängiger und bereichert ihn womöglich noch mehr.
So ungern Iris Bodemer Erklärungen zu ihrem Werk liefert – über ihren Schaffensprozess äußert sie sich bereitwilliger. Auch dabei umkreist sie ihr Thema eher und lädt ihr Gegenüber ein, den gedanklichen Kreisbewegungen zu folgen. „Das Werk soll die Idee zum Ausdruck bringen, und die Idee wird durch das Werk visualisiert; andernfalls würde ich Bücher schreiben.”4 Diese Worte gab Bodemer einer 10-seitigen Präsentation ihrer Arbeiten in einem 2011 erschienenen Überblick über zeitgenössische Schmuckkunst mit auf den Weg. Einige der dort gezeigten Schmuckarbeiten, die in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends entstanden sind, sind besonders anschauliche Beispiele für Bodemers Schaffen, in dem sie Edelsteine, Stoff und textile Techniken mit primitiv anmutenden Metallarbeiten kombiniert. Angesprochen auf die Materialwahl in ihrer „textilen Phase”, zitiert sie erneut John Cage: „Auf die Frage, wie er Musik komponiere, hat Debussy einmal geantwortet: Ich nehme alle Töne, die es gibt, lasse diejenigen weg, die ich nicht will, und verwende alle anderen.”
Dass Bodemer auf Fragen zu ihrer kreativen Praxis scheinbar so unbestimmte Antworten gibt, ist vielleicht einfach nur ein Indiz dafür, dass sie viel Zeit darauf verwendet, ihr Werk zur Vollendung zu führen. Wenn sie eine Werkgruppe abgeschlossen und danach ausgestellt hat, nimmt sie sich eine Auszeit, um den Kopf frei zu bekommen für das nächste Projekt. Sechs bis acht Monate befreit sie ihr Denken von allem, was mit Erwartungen zu tun hat, und bleibt offen für jeden Impuls, der sich meldet. „Ich konzentriere mich dann auf das innere Zwiegespräch zwischen mir und der Welt.“ In diesem durchlässigen, aufnahmebereiten Zustand stellen sich Bilder und Gedanken von selbst ein, und alle Gesehene, Gehörte und Erlebte findet seinen Weg in das Werk. Sie hat eine klare Vision davon, was sie erschafft, und spielt alle denkbaren Variationen durch, bevor der eigentliche Konstruktionsprozess beginnt. Die Bilder sind da; sie fallen ihr zu, ohne dass sie danach sucht. Wenn sich Bodemer an die Ausführung macht, gibt es kein Zögern mehr: Alles wird unter ihren Händen lebendig. Und doch wirkt jedes Einzelstück so, als sei es vollkommen spontan entstanden.
Schon oft hat die Künstlerin die Geschichte vom geerbten Ring erzählt, der einst ihrer Urgroßmutter gehörte – eine Geschichte, die erhellend ist für Bodemers Schaffensprozess. Der Ring war für eine Frauenhand zu groß und hatte vermutlich dem verstorbenen Ehemann der Urgroßmutter gehört. Da die Witwe den Ring aber tragen wollte, wickelte sie, um ihn enger zu machen, einen Wollfaden um das Metall. Diese einfache, findige Lösung und dazu der eigentümliche Materialkontrast regten Bodemer dazu an, die Einsatzmöglichkeiten von Wolle in ihrer eigenen Arbeit zu erproben, obwohl ihr dieses Material eigentlich nie recht zugesagt hatte. Wegen seiner Elastizität und Stärke, aber auch wegen der Wärme, die von ihm ausgeht, lernte sie den Werkstoff Wolle immer mehr schätzen. Als in einer späteren Phase die metaphorischen Qualitäten der Wolle ihr Interesse für sie verloren, hörte sie auf, dieses Material zu verwenden.
Bodemer verlebte eine „glückliche Kindheit“ im westfälischen Paderborn mit seinem Dom, dessen Geschichte in die Zeiten Karls des Großen zurückreicht. Sie nutzte den Fluss, der in der Stadt entspringt, zum Spielen und wuchs behütet in einem kleinstädtischen Umfeld heran. Außerdem erfuhr sie viel Unterstützung durch ihre Familie und konnte, wie sie heute sagt, in der Strenge einer reinen Mädchenklosterschule frühzeitig das nötige Selbstbewusstsein entwickeln. Von ihrem neunten bis fünfzehnten Lebensjahr erwarb sie in gemischten Pfadfindergruppen weitere wichtige Fertigkeiten: Sie lernte, wie man Feuer macht, erforschte die Natur, wurde mit der Welt des Waldes vertraut und entwickelte eigene Lösungen für alle Lebenslagen. Sie spielte Klavier und Gitarre und begann schon mit 13 Jahren, Schmuck herzustellen und zu verkaufen. Vor der Drogerie, die Freunde der Familie in der Stadt betrieben, durfte Iris Bodemer ihren Schmuck auf einem Tisch präsentieren; vom Verkaufserlös kaufte sie Material. Bodemers erster Lehrer am Berufskolleg für Formgebung in Pforzheim war Winfried Krüger, dessen Laissez-faire-Haltung die junge Studentin nachhaltig geprägt hat. Krüger brachte den Studierenden bei, dass es kein „Gut” oder „Schlecht” gibt; für den Künstler komme es allein auf die eigenen Entscheidungen an. Ernsthaft und mit großer Lernbereitschaft machte sich Bodemer daran, ihre eigenen ästhetischen Vorstellungen zu entwickeln. In ihrem Abschlussprojekt „Metamorphose“ demonstrierte sie, wie sich aus einem flachen und stets gleich großen Silberquadrat durch Schnitte und Wölbungen fast ein Dutzend komplexer, voluminöser Ringe entwickelt. Bevor sie später verschiedenartige Materialien erkundete und sich Werkstoffen wie Filz und Wolle zuwandte, stellte Bodemer ihre frühen Arbeiten aus Metall her, die sie sägend, biegend und mit anderen Bearbeitungstechniken aus flachem Blech herstellte. Ihre Ausbildung setzte Bodemer an der Hoch-schule für Gestaltung in Pforzheim fort, die kreative und technische Fertigkeiten gleichermaßen fördert und keine Trennlinie zwischen Entwerfen und Produzieren zieht. Zugleich wird dort den Studierenden vermittelt, Kunst und Leben als nahtloses Kontinuum zu sehen – mit einem thematisch breit angelegten Lehrplan, der zum Experimentieren ermuntert. Die Schule fördert außerdem den „fortlaufenden Gedankenaustausch mit den Fachschulen in Hanau, Heiligendamm, Düsseldorf, Barcelona und Prag“, wie es in einem Katalog der Schule heißt.5 Während ihrer Zeit an der Hochschule für Gestaltung konnte Bodemer mit einem Stipendium in die USA reisen und das Jahr 1995 an der Rhode Island School of Design verbringen.
Losgelöst von ihrem gewohnten, traditionsverbundenen Umfeld, begann Bodemer in Rhode Island, neue Werkstoffe zu erproben und auch gedanklich neue Wege zu gehen. Sie sah ihre amerikanischen Kommilitonen am Strand bunte Kunststoffteile auflesen und die Fundstücke in ihre Arbeiten einbauen und tat es ihnen gleich, kombinierte Metall mit Plastik, Klebeband und anderen traditionsfremden Materialien. In Providence trieb sie bunte Kunststoffschnüre aller Art auf, die sie nach Deutschland mitbrachte und im Atelier verarbeitete; damit war Emaille für sie nicht länger die einzige Möglichkeit, ihren Arbeiten Farbe zu verleihen.
Nach ihrem Abschluss studierte Bodemer zwei Jahre am Amsterdamer Sandberg Institut im Fachbereich Freie Gestaltung. Wie viele ihrer damaligen Kommilitonen in Amsterdam und Pforzheim erprobte Bodemer weiterhin „alternative“ Werkstoffe, die nicht zum traditionellen Kanon der konventionellen Schmuckherstellung gehörten. Ironischerweise ist dieser damals radikale Aufbruch in den Jahrzehnten seither selbst zur Konvention geworden, sodass Bodemer mit ihrer Rückkehr zum Metall einmal mehr ihre Eigenständigkeit unter Beweis stellt.
Bodemers frühe Arbeiten sind selbstbewusste Metallobjekte, die sich leicht erschließen. Dabei hat sich Bodemer die Eigenschaften des Metalls — seine Formfestigkeit, die Spannung, die durch gewölbte Flächen entsteht, und die Linienführung auf metallischen Oberflächen — sehr wirkungsvoll zunutze gemacht. Die Galerie Marzee im niederländischen Nijmegen war frühzeitig von Bodemer überzeugt und stellt bis heute alle zwei Jahre ihre Werke aus. Der Katalog, den Bodemer für ihre Ausstellung 2002 entworfen hat, ist ein Musterbeispiel für Zurückhaltung — mit handgenähten Schutzumschlägen und klammergeheftetem Inhaltsverzeichnis.
Jedes der vielfach aus Gold, natürlichen Mineralien und Bindfäden gefertigten Objekte wird auf einer jeweils eigenen, wunderschön gestalteten Seite gezeigt. Die gestische Dimension und die Raffinesse der Arbeiten kommen so perfekt zur Geltung. Die bewegten Strichzeichnungen scheinen mit großem Abstand vom Blatt entstanden zu sein und erinnern an Arbeiten des deutschen Schmuckkünstlers Manfred Bischoff. Bodemers souveräne Goldschmiedekunst zeigt sich in den weich wirkenden Gold- und Silberelementen, die sie mit sicherem Formgespür mit Fäden oder winzigen Perlen kombiniert. Die Arbeiten aus dieser Zeit lassen Bodemers Handschrift deutlich erkennen: rohe Mineralien neben geschliffenen Edelsteinen, raffinierte und dennoch einfache Befestigungslösungen, subtil kombinierte Farben. Ein Jahrzehnt später hat Bodemers Werk nichts von seiner Frische verloren.
Wer Bodemers Schaffen der letzten zehn Jahre Revue passieren lässt, begegnet dabei den zentralen Themen, mit denen sich Schmuckkünstler künftig auseinandersetzen werden. Die bewegte, unregelmäßige und scheinbar spontane Linienführung ihrer Schmuckobjekte, die oft wirken wie mit der Schere ausgeschnitten, wird von Studierenden allerorten aufgegriffen. Die dynamischen Umrisse zeigen die Bewegungsenergie des Fertigungsprozesses – aber nicht die zärtliche Berührung einer Pinselspitze, sondern das ungestüme Zerschneiden von Papier mit der Schere wird hier spürbar.
Bodemers regelmäßige Ausstellungen bei Marzee machen sichtbar, wie sich ihr Werk im Laufe der Jahre thematisch entwickelt hat. 2004 erkundete sie die skulpturale Dimension von Schmuck als einer vom Körper losgelösten Kunst. Die Arbeiten aus dieser Zeit sind farbig, verwenden vielfältige Materialien inklusive Wolle und Kunststoff und sind nicht unbedingt zum Tragen geeignet. Keinesfalls ordnen sie sich als unterstützendes Accessoire der Mode unter. 2006 nahmen Bodemers Broschen, montiert auf mit Zeichnungen versehenen Holztafeln, eine ganze Galeriewand ein. Wenn sie nicht getragen werden, bilden Brosche und Zeichnung eine in sich geschlossene Komposition. 2008 lotete Bodemer aus, wie verschiedene Werkstoffe miteinander kommunizieren oder gegeneinander ankämpfen. Dabei sind Arbeiten entstanden, die organische und anorganische Materialien mit eingewickelten, genähten und gehefteten Textilien mischen — von Leinen über Hanf bis Kevlar. Die Werkstoffkombinationen spielen auf ihre eigene Überdeterminiertheit an und behaupten sich zugleich in ihrer Dissonanz.
Des Arbeitens ohne Metall wurde Bodemer schließlich überdrüssig. Sie hatte mit diesem Vokabular alles gesagt, was zu sagen war. Indem sie sich in jüngster Zeit wieder dem Werkstoff Metall zuwendet, scheint sie, ohne sich selbst zu wiederholen, manche ihrer früheren Arbeiten neu zu interpretieren. So ähnelt zum Beispiel der Silberhalsschmuck von 2012 einer Pferdehaarbrosche von 2008 mit dem Unterschied, dass an die Stelle des verknoteten und gebundenen Pferdehaars von einst nunmehr kreideweißes Metall getreten ist. Die beiden Arbeiten sind farblich eng verwandt und kontrastieren ein frostiges Stück Strandgut mit hellen, unbearbeiteten Turmalinen.
Manche der Schmuckobjekte, die Bodemer herstellt, sind lieblich und von herzzerreißender Zartheit; andere Arbeiten wirken mit ihren sperrigen Materialdissonanzen schroff. Bodemer knüpft an ihre herausragenden deutschen und niederländischen Vorläufer an – an Hermann Jüngers makellose Handwerkskunst und seinen scheinbar lässigen Umgang mit edlen Werkstoffen ebenso wie an Dorothea Prühls grobförmige, „hässliche” Kombinationen von unedlen Materialien. Gleichzeitig spielt sie selbst eine Vorreiterrolle für die neue Schmuckkünstlergeneration – für Deborah Rudolph in Deutschland ebenso wie für zahllose Nachwuchskünstler in der ganzen Welt, die ihrem Beispiel folgen und grobe Umrisse, die an zerrissenes Papier erinnern, mit Textilien und lasierten Oberflächen kombinieren.
Bodemers Werk verlangt seinem Betrachter gedankliche Arbeit ab, aber mehr noch lädt es zum Denken ein. Wer es voll und ganz ergründen will, sollte etwas Lyrik lesen. Oder selbst das eine oder andere Gedicht schreiben. Oder Musik von John Cage hören, der davon überzeugt war, dass es so etwas wie absolute Stille nicht gibt. Ausgenommen die Töne des Herzschlags und das Geräusch, das unser Blut erzeugt, wenn es das Gehirn durchströmt.
Marjorie Simon lebt als Schmuckkünstlerin und Autorin in Philadelphia.
1. Auf die Verbindung zu John Cage ist Judy Wagonfield in einem Artikel in Metalsmith eingegangen; Band 27, Nr. 5, S. 58.
2. www.artjewelryforum.org/ionterviews
3. www.irisbodemer.de/G/text
4. Contemporary Jewelry Art, von Design-Ma-Ma, Cypi Press, 2011, Großbritannien, S. 30.
5. Englische Übersetzung des Vorwortes zum Katalog Schmucktriebe, Berufskolleg für Formgebung Pforzheim, ca. 2000, von Christiane Weber-Stoller, Gesellschaft für Goldschmiedekunst.
© 2008 Sharon Campbel
Als ich zum ersten Mal eine größere Zahl von Iris’ Arbeiten um mich versammelt habe, hatte ich das Gefühl: Hier war ich auf eine Künstlerin gestoßen, die ihre Arbeiten nur für mich gemacht hat – in einem Atelier, das Kontinente weit entfernt ist, und dennoch als verwandter Geist.
Ich staune über Künstler, die kühn die vermeintlichen Grenzen aller Handwerkskunst immer weiter ausdehnen und genau den Punkt kennen, an dem es heißt: Genug ist genug. Ich schätze Kreativität, bei der Künstler sich des Materials annehmen und der Konformität verweigern, indem sie sich weder untermischen noch eingliedern. Es befriedigt mich jedes Mal elementar, wenn ich etwas sehe, was ich noch nie vorher gesehen habe. Genau das trifft auf die Arbeiten von Iris Bodemer zu.
Sharon Campbell _ Seattle 2008 _ Sammlerin und Trägerin von Schmuckkunst
© 2008 Cornelie Holzach
KUNSTHANDWERK & DESIGN _ 4/2008 _ Seite 24-29
Cornelie Holzach
Schmuckarbeiten von Iris Bodemer
Über Iris Bodemers Schmuck zu schreiben, bedeutet, sich zunächst klar zu machen, was neuer Schmuck mit unzweifelhaftem Kunstanspruch ist. Die Auseinandersetzung mit diesem Thema und den Fragestellungen zur Zuordnung ist lang und wird seit den 1970er Jahren mit unterschiedlicher Intensität geführt. Wesentlich Neues hat sich seither erstaunlicher Weise nicht unbedingt ergeben. Selbst wenn sich Schmuckschaffende mit erheblich mehr selbstverständlichem Selbstbewusstsein in ihrem Metier bewegen, bleiben sie letztlich unbeantwortet beziehungsweise werden von den Akteuren sehr individuell beantwortet. Eines lässt sich aber gewiss feststellen: Es wird von den Schmuckschaffenden sehr viel deutlicher auch die theoretische Auseinandersetzung geführt, um im Kontext der Kunstproduktion ihren Standort festzulegen und zu begründen. War es in der Vergangenheit eher die Feststellung, dass Schmuck auch Kunst sei – so seinerzeit Hermann Jünger: „Goldschmieden ist nur ein anderes Wort für Kunst“, gibt es seither eine Vielzahl an Aufsätzen und Texten, sowohl von KünstlerInnen als auch KunsthistorikerInnen, die sich mit den verschiedenen Aspekten des Schmucks als künstlerischer Ausdrucksform befassen. Wichtiges Forum mit Langzeitwirkung sind dabei gewiss die Hochschulen und andere Ausbildungsstätten, die sich mit Schmuck als Kunstform theoretisch wie praktisch befassen. Ebenso dazu gehören die Museen, die sich – abgesehen von der Spezialisierung des Schmuckmuseums Pforzheim – mehr und mehr der zeitgenössischen Schmuckkunst annehmen. Jüngste Beispiele sind das Museum of Fine Arts in Houston, das die bedeutende Sammlung Helen Drutt English aufgenommen hat, oder das Victoria and Albert Museum, das mit der Wiedereröffnung seiner Schmuckabteilung sehr viel mehr als zuvor dem neuen Schmuck Raum gibt. Hinzu kommen Schmuckgalerien, Kunstmessen, Ausstellungen, Magazine, die alle mit ihrer Arbeit dazu beitragen, Schmuck einerseits in der Öffentlichkeit zu positionieren, andererseits aber auch den Künstlerinnen und Künstlern den nötigen Rückhalt und Reflektionshintergrund zur eigenen Standortbestimmung bieten und vielleicht in gewissem Maße auch der Selbstvergewisserung dienen.
Iris Bodemer ist 1970 geboren, sie hat mit ihrer Ausbildung zunächst am Berufskolleg für Formgebung und dann dem Hochschulstudium in Pforzheim sowie dem anschließenden Postgraduierten-Studium am Sandberg Institut Amsterdam sehr klar und eindeutig den Weg der Kunst im Schmuck beschritten. Sie konnte in ihren Studienjahren in den 1990ern von der breiten Basis, wie sie oben beschrieben wurde, insofern profitieren, als dass die Diskussion über den Kunstkontext des Schmucks sowohl breit geführt als auch die Gewissheit darüber ausformuliert wurde und sich ergo verfestigt hat. Es scheint gerade für den Standpunkt Iris Bodemers nicht unerheblich zu sein, sich nicht mehr mit Grundsatzdiskussionen befassen zu müssen, sondern die wesentlichen Fragen dazu als beantwortet anzunehmen. Dies gibt die Freiheit, den Weg der eigenen Auseinandersetzung damit, was das Wesen des Schmucks ausmacht, unbelastet und „rücksichtslos“ im wörtlichen Sinne zu gehen. Iris Bodemer hat es sich nie einfach gemacht. Mit der größtmöglichen Freiheit des Denkens umzugehen, birgt Risiken und Unsicherheiten, denen man standhalten, die man aushalten können muss. Dazu gehört auch die Möglichkeit des Scheiterns und Verwerfens mit der Hoffnung und der Gewissheit des Neuanfangs, der sich immer auch aus den gemachten Erfahrungen speist und eben gerade deshalb eine neue Qualität erreichen kann. In einer frühen Werkphase hat sich Bodemer mit virtuellem Schmuck, mit der Idee von Schmuck befasst. Wie lässt sich möglichst umfassend und exakt ihre Idee des Rings, dieses Archetypus einer Schmuckform vermitteln? Jede Materialisierung würde einen Ring, aber nicht den Ring zeigen. Der Ausgang dieses Vorgehens ist absehbar, es endet im Nichts. Wenn Peter Skubic seinerzeit eine Ausstellung für imaginierte Ringe konzipierte – sie bestand nur aus Sockeln mit Beschriftung – ging Iris Bodemer in ihren Überlegungen noch weiter: Am Schluss bleibt ein Stift, mit dem man eine Linie um den Finger zeichnen könnte. Es war weniger eine Sackgasse als vielmehr die Spitzkehre eines Gebirgspasses. Mit der letztlich ziemlich frustrierenden Erfahrung einer konzeptuellen Schmuckidee – in endgültiger Konsequenz wäre es ein Abschied vom Schmuck gewesen – gelang es ihr aber, ihre Vorstellung von Schmuck neu zu definieren und für sie akzeptable Formen der Umsetzung zu finden. Die Rematerialisierung vom Schmuck Iris Bodemers ist der Weg vom nur Gedachten, Unsichtbaren in die greifbare, sichtbare Welt. Wie die Ebbe unter dem Wasserspiegel des Meeres verborgene Muscheln, Fundstücke oder Bauwerke langsam freigibt, taucht ihr Schmuck zunächst vorsichtig und suchend wieder auf. Es sind Werke, die wie Zeichnungen in der direkten Umsetzung ins Material entstehen. Zweifellos dreidimensional angelegt, sind sie doch eigenartig zweidimensional, zeichnungshaft. Um bei dem Bild der Gezeiten zu bleiben: Kurz bevor das Wasser ganz zurückweicht, sehen wir die Dinge auf dem Meeresgrund. Sie sind aber wegen der Lichtbrechung kaum als Körper auszumachen. Schatten und unser Wissen um die tatsächliche Form lassen sie in unserer Vorstellung zu dreidimensionalen Objekten erstehen.
Das Bestechende von Zeichnung ist unter anderem die direkte, nicht aufgehaltene Umsetzung von Vorstellung und Intuition. Die Zügigkeit, mit der eine Zeichnung entstehen kann, „überholt“ den Denkprozess und gibt dadurch Unbewusstem Raum, sich zu zeigen. Die grundsätzliche Trägheit von Materie bei der Bearbeitung führt im Schmuck immer wieder zu Überlegungen, wie das Intuitive im Arbeitsprozess nicht verloren gehen und sichtbar werden kann. Die vorhandene Diskrepanz zwischen der Vorstellung, der Idee des Schmucks und dem Zeitfaktor in der Realisierung ließ Iris Bodemer zu Lösungen kommen, die die Technik auf ein Minimum reduziert, die es möglich macht, den intuitiven Charakter der Zeichnung in die Schmuckstücke zu übertragen. Die Einfachheit der Technik, ob geschnitten, getackert oder getapet, zeigt aber noch anderes: Prinzipiell ist jedes Material für die Übersetzung der Idee in ein Schmuckstück möglich, seien es Edelsteine und Gold oder Gummi, Klebeband und Heftklamern. Um Strukturen, Oberflächen, Farbe, Linien und Volumen entstehen zu lassen, ist das der Idee am nächsten kommende Material wichtig, nicht seine technische Eignung. Die Schmuckstücke Bodemers dieser Zeit machen zudem erfrischend deutlich: Schmuck hat nicht zwingend mit Goldschmiedehandwerk zu tun. Eine Erkenntnis, von der man annehmen sollte, sie sei hinlänglich bekannt, die aber trotz allem immer wieder betont werden muss, um sich das zu vergegenwärtigen, was sich seit den oben genannten Anfängen der modernen Schmuckkunst herausgebildet hat.
Die Zeichnung selbst ist ein wesentliches Element im Werk Iris Bodemers, und im Zuge der beschriebenen Entwicklung markiert sie wichtige Stationen und Wendungen. Frühe Arbeiten leben vor allem von und in der Zeichnung. Später tritt sie insofern in den Hintergrund, als sie sich im Stück selbst manifestiert. Dann setzt in der Werkgruppe von 2006 ein Zusammenspiel von Schmuckstück und Zeichnung zu einem neuen Ganzen ein. In den neuesten Arbeiten verschwindet sie völlig, und die Materialität der Objekte ist eines der Hauptmerkmale dieser Arbeiten.
In der 2006 für die Galerie Marzee konzipierten Ausstellung zeigte Bodemer 42 Broschen mit 80 Zeichnungen, streng geordnet in vier Reihen à 20 Tafeln mit dem Format 18x24cm. Wichtig dabei war auch die Reihenfolge beziehungsweise das jeweilige Reagieren der einzelnen Tafeln aufeinander, obwohl alle auch für sich stehen konnten. Hier wurde das sensible Konzept deutlich, nach dem sie arbeitet. Die Kombination von Zeichnung/Bild und Schmuckstück war im zeitgenössischen Schmuck seit den 1970er Jahren immer wieder ein Thema, um Schmuck als Einzelobjekt in eine größere Arbeit zu integrieren. War es in diesen Anfängen meist ein Wandobjekt oder eine Kleinplastik, die ähnlich einem Relief aufgehängt werden konnten und denen man das Schmuckstück bei Bedarf entnehmen konnte, um es zu tragen, so tauchen später die Kombinationen mit Zeichnungen auf: manchmal als Entwurfszeichnung hinterlegt, manchmal in ausgeprägter Kaligrafie gearbeitete Erläuterungen, die zur Erhellung der Arbeit (oder auch zur Verwirrung) beitragen sollten. Im ersten Anschein arbeitet auch Iris Bodemer nach diesen Prinzipien – der Kombination, der Unterstützung und Fassung der Einzelobjekte durch Bildträger. Im zweiten Blick aber wird deutlich, wie eng die Symbiose von Objekt und Zeichnung ist, wie wichtig der Halt auf der Zeichnung ist. Die Zeichnung mit Stift oder anderen Materialien organisiert eine Struktur, sie erscheint bisweilen als Übersetzungshilfe, dann wieder als Ergänzung oder Konterpart des Schmuckstücks. In ihrer Schattenhaftigkeit (selten ist Farbe in der Zeichnung und wenn, dann eher reduziert) schafft sie es, die Konzentration auf die Materialität der Stücke zu lenken und sie gleichzeitig auf der Ebene eines Bausteins des Ganzen zu belassen: Fokussierung und Ausweitung in einem lassen einen zwischen diesen beiden Polen hin- und herwandern. Es ist dieses ständig Flirrende des Perspektivwechsels, der die einzelnen Tafeln mit ihren Schmuckstücken zu einer Einheit verbindet, die in dieser Form neu und eben nicht in anderen Kombinationsarbeiten zu beobachten sind. Löst man nun tatsächlich die einzelnen Schmuckstücke heraus und betrachtet sie für sich, so ist die Üppigkeit der Materialität ein ganz wesentliches Merkmal. Die Vorgehensweise wurde schon in den frühen Arbeiten der 1990er Jahre angelegt, die Materialvielfalt – nichts, was nicht geht zur Beförderung der Idee – wird verstärkt durch die Dichte des Zusammenwirkens. Die Stücke erscheinen als hochkonzentrierte Essenz, wie Eisenspäne auf einem Magneten – und alles will enger und noch enger zusammenrücken. Oft wirkt der Abstand, der zwischen den einzelnen Teilen besteht, als könne er nur mühsam gewahrt werden, als würde eine unsichtbare Kraft alle fest zusammenklammern und nie wieder loslassen wollen. Anschaulich wird diese Konzentration auch durch die Verbindungstechnik des Ein- und Festwickelns: Volumen bildet sich durch dichtes Wickeln, und dabei ist nicht klar, ob etwas umwickelt wurde oder aber ob das Knäuel für sich steht. Die einzelnen, festen Materialien wie Edelsteine oder Holzstücke werden mit dicht gewickeltem Faden oder Schnur zusammengeballt, sodass das Lösenwollen ganz undenkbar erscheint: Alle sollen für immer und ewig verbunden bleiben.
Wenn Iris Bodemer die neuesten Arbeiten unter dem Titel „Ingredienzen“ zusammenfasst, führt sie ein Thema weiter, das schon in den zuvor entwickelten Werkgruppen immer wieder anklingt, nun aber zum eigentlichen Leitgedanken wird. Die Wechselwirkung der verschiedenen Materialien, das Zusammenstellen der Ingredienzen, die dann im guten Sinne ein Konglomerat, ein Ganzes bilden können. Man muss sich lange und intensiv mit den unterschiedlichsten Materialien beschäftigt und experimentiert haben, um die feinen Abstufungen, das Gleichgewicht und gezieltes Ungleichgewicht in der Wirkung der einzelnen Materialien zu erfassen und einzusetzen. Es gibt starke und schwächere Materialien, solche, die sofort Emotionen freisetzen, und andere, die glatt und harmlos wirken. Manche scheinen tonnenschwer, bei anderen assoziiert man pure Leichtigkeit. Goldfolie kann gediegen wertvoll wirken oder anders eingesetzt an zerknüllte Alufolie erinnern, umgekehrt kann genauso die Haushaltsfolie einen über die Zeitläufte stehenden Gleichmut ausstrahlen. Perlen, Gold, Edelsteine, Holz, Korallenäste, Fund- und Fellstücke und noch eine ganze Menge weiterer Ingredienzen zeigen in den Arbeiten von Iris Bodemer ihre Besonderheiten und Eigenheiten, sie sind ganz sie selbst und zugleich in die Gestaltungsordnung und in die von der Künstlerin entwickelte Struktur eingebunden. Dies schafft einen Spannungsbogen, der, ähnlich wie bei den Zeichnung/Schmuckarbeiten Verdichtung und Konzentration bewirkt. Erst die Inhaltsstoffe in ihrer Gesamtheit erreichen den Mehrwert, dabei geht kein einziger unter, jeder ist identifizierbar, aber nur zusammen sind sie mehr als jeder für sich.
Mit diesen neuen Arbeiten hat sich Iris Bodemer mehr und mehr von der zeichenhaften abstrakten Ebene ihrer frühren Untersuchungen zu Schmuck entfernt und sich mit einigen Arbeiten sogar des Kanons der klassischen Schmuckformen angenommen: Halsschmuck mit zentriert angeordneten Anhängern oder auf die Mitte hin konisch zulaufende Verdichtungen nehmen ganz eindeutig die tradierten Formen der Goldschmiedkunst auf, aber wie anders sind doch die Lösungen! Es ist die Freude an der Üppigkeit zu spüren und zugleich die hochkonzentrierte Aufmerksamkeit, die in allen Arbeiten steckt. Gerade in dieser Fülle die kalkulierten Grenzüberschreitungen souverän einzusetzen – es scheint immer ein wenig zu viel oder zu groß zu sein – macht die hohe Qualität ihrer Arbeiten aus. Es ist ein Vertiefen in die Materie mit außerordentlicher Klarsichtigkeit, die diesen Arbeiten ihre ganz besondere Ausstrahlung verleihen, und es ist in der Rückschau ein immer weiter sich konzentrierendes Werk, das als konsequenter Weg zu den Bedeutungsebenen des Schmucks gelesen werden kann.
© 2008 Ellen Reiben
Iris Bodemer. Ihre Schmuckstücke sind wie zeitgenössische Musikkompositionen. Verschiedenartige Noten, zu unerwarteten Konstellationen gefügt. Bodemers Umgang mit den Materialien ist ausgesprochen demokratisch. Wolle, Gold, Gestein – alle bleiben sie in Bodemers Werkgeschichte über die Jahre hinweg gleich wichtig. Getragen wirken die Arbeiten graphisch, kühn und verwegen. Und voller Witz. Sie sind moderne Reliquien ihrer Zeit.
Ellen Reiben _ Washington D.C. 2008 _ Galeristin
© 2008 Fabrice Schaefer
A mes yeux, la grande force du travail de Iris Bodemer est le fait qu’il offre une multitude de facettes. Travail d’expérimentations, où les techniques d’assemblages et les matériaux les plus insolites nous paraissent, grâce à son inventivité et à sa sensibilité, d’une évidence absolue.
Extension de la fonction bijou ; il n’est plus là uniquement pour orner le corps mais la présentation, l’environnement qui l’accompagne lui donne un statut d’objet d’art à part entière.
Cette diversité d’approche confère à son travail une richesse qui renouvelle, au fil du temps, le regard que l’on porte sur ses créations.
Fabrice Schaefer _ Genève 2008 _ Galeriste
Die immense Kraft der Arbeit von Iris Bodemer besteht in meinen Augen in ihrem Facettenreichtum. Es ist eine Arbeit ständiger Experimente. Dank ihrer Erfindungsgabe und ihrer künstlerischen Sensibilität führt Iris Bodemer Techniken der Assemblage und außergewöhnliche Materialien mit bezwingender Selbstverständlichkeit zusammen.
Es ist die Erweiterung des Schmuckbegriffs. Dieser Schmuck dient nicht mehr allein der Zierde des Körpers. Vielmehr verleihen ihm seine Präsentation und das umfassende Konzept, in das er eingebettet wird, den Status vollkommen eigenständiger Kunstwerke.
Diese Vielschichtigkeit der schöpferischen Ansätze stattet die Arbeit von Iris Bodemer mit einem Reichtum aus, welcher den Blick, den wir auf ihre Kreationen werfen, stets neu beseelt.
Fabrice Schaefer _ Genf 2008 _ Gallerist
© 2007 Judy Wagonfeld
METALSMITH 2007 _ Band 27 Nummer 5 _ „Reviews“ _ Seite 58
„Iris Bodemer und Maria Phillips: Sculpture becomes Jewelry“
„Spiral“ in der Grover Thurston Gallery, Seattle, Washington 2. November – 2. Dezember 2006
Von Judy Wagonfeld
Man braucht nur den Titel „Sculpture becomes Jewelry“ umzudrehen in „Jewelry becomes sculpture“, und schon bekommt man eine Ahnung von der Huhn-Ei-Dichotomie dieser von Sharon Campbell kuratierten Ausstellung. Das ist allerdings nur die erste Wahrnehmungsstufe. Die Innovationskraft der Exponate reicht weit über die Neueinordnung von Gegenständen hinaus; sie lässt durch das Verschmelzen der Begriffe „Skulptur“ und „Schmuck“ etwas Drittes entstehen, die „funktionale Installation“. Einzelne Stücke treten zugunsten der Assemblage ihre Identität ab, aber dennoch wahrt jede Brosche und jede Halskette, wenn sie entdeckt, erwählt und getragen wird, ihre Eigenheit.
Die Künstlerinnen Iris Bodemer (Pforzheim, Deutschland) und Maria Phillips (Seattle) haben sich, so scheint es, den Pioniergeist und die intellektuelle Tatkraft der verstorbenen Plastikerin Eva Hesse zu eigen gemacht. Sie thronen auf dem äußersten Zipfel eines noch unerschlossenen Landes und folgen ihrem Streben nach zusammenhängenden Mosaiken und, eingebettet darin, Zierde für den menschlichen Körper. Das Anfertigen eines einzelnen Schmuckstücks ist ein gemütlicher Spaziergang im Vergleich zu diesem hindernisreichen Pfad, aber beide Künstlerinnen schreiten mit großem Elan voran.
Bodemers Arbeiten haben ihren Ursprung im Minimalismus. Mithin unterliegt ihre Produktion strengen konzeptuellen Vorgaben. In dieser Installation „zeichnet“ Bodemer mit Flüssigkeiten oder festen Materialien auf vierundsechzig weißen Tafeln, die je ca. 18 x 24 cm groß sind. Atemberaubende halb eingelassene Broschen, gefertigt aus Edelstein-Clustern, Zufallsfunden, Leder und gewendelten, mit Bast und Wolle geknüpften Perlensträngen. Es dominiert eine eingewurzelte Rauheit, gespeist aus der Erinnerung an den in Garn eingewickelten Ring des Großvaters, den ihre Großmutter trug. Funkelnder Stein im Kontrast mit ausgeblichenem Treibholz. Eine Brosche mit Rauchquarz stellt Natur und Industrie einander gegenüber, vertreten durch Metallgefüge und Wolle.
Vereint in einem Raster entlang der Galerie im Halbgeschoss, provozieren Bodemers Arbeiten ganz unterschiedliche Reaktionen. Vom Erdgeschoss der Galerie aus betrachtet, sieht die Installation aus wie ein Quilt oder eine Abfolge abstrakter Kunstwerke . Die unregelmäßige Platzierung der Broschen an den Tafeln lässt – in einer Bildersprache, die von der Musik von John Cage inspiriert scheint – an einen Musikalienladen denken. Nachdenklich und spontan, werden in den Arbeiten Beziehungen zugleich verborgen und offenbart, die wie alle Lebensthemen bedacht und angesprochen werden wollen.
…
Wahre Stillleben in 3 D, bersten die Installationen beinahe vor Ornamentik. Chaotisch oder wohlgeordnet, asymmetrisch oder rasterhaft – sie überwinden die Kluft zwischen „Kunst“ und „tragbarer Kunst“. In der Haltung von Bittenden, die sich fragen: „Wird sie wohl mich erwählen?“, warten die Broschen darauf, dass jemand sie zum Tanz auffordert. Das Erwähltwerden bedeutet für jedes einzelne Stück, dass die Nabelschnur durchschnitten wird. Zwar wird es wohl seine Familie verlassen, aber wie im wirklichen Leben bleiben die Bande in der Erinnerung bestehen.
Bodemer und Phillips genügt das. Weltkluge Künstlerinnen, die sie sind, haben sie sich wechselseitig befruchtet und ein Reich geschaffen, das fließt. Ihre Skulptur und ihr Schmuck haben sich vermählt und eine schriftlose Sprache entstehen lassen, die Befriedigung schafft – ob an der Wand, am Körper oder im Denken.
Judy Wagonfeld lebt als freie Autorin in Seattle, Washington.